Nein zu Stuttgart 21

[spoiler title=”Bringt Stuttgart 21 Vorteile im Nahverkehr?”]

Immer wieder wird das Projekt Stuttgart 21 als große Chance für den Nahverkehr in der Region Stuttgart, ja in Baden-Württemberg angepriesen. Stimmt das?

Seit der Bahnreform wurde der Nahverkehr – mit Hilfe von Regionalisierungsmitteln des Bundes – stark ausgebaut.

Dass es sich hierbei häufig nicht um zusätzliche Angebote, sondern um den Ersatz von Fernverkehrsverbindungen (z.B. Interregio-Verbindungen) handelt, die von der Bahn AG gestrichen wurden, wird verschwiegen.

Zutreffend ist, dass die Region Stuttgart an der Magistrale Paris-Budapest liegt, auf welcher Fernverkehrsangebote bestehen. Ansonsten wird die Region sukzessive vom Fernverkehr abgehängt.
Stuttgart – Heilbronn – Würzburg
Stuttgart – Pforzheim – Karlsruhe
Stuttgart – Göppingen – Ulm – Lindau
Stuttgart – Horb – Singen – Zürich (- Mailand / – Genua – La Spezia)
Stuttgart – Schwäbisch Hall – Nürnberg (- Dresden)

sind Relationen, auf denen früher Fernverkehrsangebote bestanden oder bei denen die akute Gefahr besteht, dass noch vorhandene Fernverkehrsangebote eingestellt werden.

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[spoiler title=”Ist Stuttgart 21 ein Bahnprojekt?”]

Stuttgart hat einen hervorragenden Kopfbahnhof. Aus drei Richtungen fahren die Züge kreuzungsfrei in den Bahnhof ein- und aus. Für den Halt mit Richtungswechsel benötigen ICE-Züge gerade mal vier Minuten. Deswegen gilt der Stuttgarter Hauptbahnhof unter Fachleuten als schnellster Kopfbahnhof in Deutschland. Trotzdem soll er verschwinden.

Seit 15 Jahren wird an dem gigantischen Projekt geplant. Der bestehende Kopfbahnhof soll in einen Durchgangsbahnhof umgebaut werden. Damit dies gelingt, müssen die Gleise um 90° gedreht und alle Zulaufstrecken verlegt werden. Weil es in Stuttgart keinen freien Raum für die Gleise gibt, sollen alle Strecken im Tunnel verlaufen. 66 Kilometer meist eingleisige Tunnelstrecke müssen gebohrt werden, um eine Zeitersparnis von etwa zwei bis drei Minuten zu erreichen. Durch kürzere Haltezeiten im Bahnhof sollen weitere zwei Minuten eingespart werden. Allein die Tieferlegung des Bahnhofs und der Zulaufstrecken kostet nach der neuesten Kostenrechnung von Dezember 2009 2,6 Milliarden Euro, der Streckenabschnitt von Stuttgart bis Wendlingen mit dem Flughafenbahnhof kostet nochmals 1,5 Milliarden Euro. Baurisiken sind dabei noch gar nicht einkalkuliert. Wenn abgerechnet wird, werden es wohl mehr als sechs Milliarden Euro sein.

Vielen Bürgern in Stuttgart erscheinen die immensen Kosten angesichts des mageren Nutzens viel zu hoch. Doch eine unheilige Allianz aus Stadt, Land Baden-Württemberg und Bahn hält trotz vieler Bedenken an dem Projekt fest. Der Stadt Stuttgart geht es in erster Linie um den Zugewinn von 106 Hektar Bahnflächen mitten in Stuttgart zur Stadterweiterung. Die Landesregierung besteht auf einen ICE-Halt am Flughafen, um den Flugverkehr und die Neue Messe am Flughafen zu fördern. Für die Bahn ist Stuttgart 21 ein Bombengeschäft, erhält sie doch so viele öffentliche Zuschüssen aus Steuergeldern, dass für sie der Neubau billiger ist als die Renovierung des bestehenden Bahnhofs.

“Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um ein Projekt des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege, sondern vorrangig um ein städtebauliches Projekt. Denn auch ein oberirdischer Kopfbahnhof kann die verkehrlichen Funktionen für den Eisenbahnknoten Stuttgart erfüllen.” Was wie aus einer Streitschrift der Gegner klingt, ist tatsächlich die Einschätzung des Bundesverkehrsministeriums. Das Verkehrsministerium hat darum auch seinen Kostenanteil gedeckelt.

Die kritischen Worte aus Berlin verhallen in Stuttgart. Von einer Riesenchance für die Landeshauptstadt ist die Rede. Mit Stuttgart 21 werde die Landeshauptstadt an den nationalen und internationalen Fernverkehr angeschlossen, wird behauptet. Oder anders: Wenn Stuttgart 21 nicht gebaut wird, fahren die Züge an Stuttgart vorbei. Wer dies behauptet zählt sicherlich nicht zu den Bahnfahrern. Zum symbolischen Baustart am 2.2.2010 werden immer häufiger wirtschaftliche Argumente für Stuttgart 21 genannt. Wenn Stuttgart 21 verhindert werde, gäbe es kein Geld für irgendeine Alternativlösung. Und die schwer durch die Krise gebeutelte Wirtschaft im Südwesten lechzt nach den Milliarden aus Steuergeldern. Für sie ist Stuttgart 21 ein gigantisches Immobilienprojekt und ein riesiges Konjunkturprogramm für die Wirtschaft in der Region.

Und was hat der Reisende von Stuttgart 21? Zuerst einmal eine zehnjährige Bauzeit mit vielen Verspätungen, dann einen düsteren Tunnelbahnhof, in den nur am Vormittag ein Sonnenstrahl dringt, viele Rolltreppen statt ebener Zugänge, schlechtere Anschlüsse, weil der Bahnhof nur noch acht Gleise hat. Von Stuttgart sieht der Reisende nichts mehr. Und weil die Trassen- und Stationsgebühren steigen, darf er den ganzen Unsinn auch noch bezahlen. Wer will dann noch freiwillig nach Stuttgart fahren?

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[spoiler title=”Wird die Region Stuttgart abgehängt?”]

Immer wieder wird von den Befürwortern von Stuttgart 21 angeführt, dass ohne dieses Projekt die Region Stuttgart vom internationalen Eisenbahnverkehr abgehängt zu werden drohe.

Im Landtag von Baden-Württemberg behauptete Ministerpräsident Oettinger am 25. Juli 2008, dass ab dem Jahr 2013 eine perfekte Umfahrung Baden-Württembergs über Saarbrücken, Mannheim, Frankfurt am Main und Nürnberg herauf auf der europäischen Magistrale Paris-Bratislava zur Verfügung stände und auf der alten Linie über Karlsruhe und Stuttgart weniger Züge fahren würden.

Diese Befürchtung ist unbegründet, denn der Weg von Paris nach München ist über Frankfurt mit 957 km viel weiter als der über Stuttgart mit 813 km. Zudem kann auf der Ausweichroute an vielen Stellen auch in Zukunft nur maximal Tempo 160 km/h und teilweise deutlich darunter gefahren werden, so dass auch in drei Jahren die Fahrzeit über Frankfurt weiterhin etwa eine Stunde länger als auf dem kürzeren Weg über Stuttgart sein wird.

Schnellste Zeit heute über FFM: 7:10 (fiktiver durchgehender Zug) und über Stuttgart: 6:14

Mit der Neubaustrecke nach Ulm, die auch Teil des Konzepts K21 ist, das eine Beibehaltung und Renovierung des Kopfbahnhofs vorsieht, würde sich die Fahrzeit über Stuttgart um eine halbe Stunde verringern. Eine NBS Mannheim-Frankfurt wird dagegen die Fahrt über Frankfurt nur um ca. 15 Min verkürzen, so dass der Zeitvorteil für die direkte Fahrt über Stuttgart in Zukunft eher noch größer wird.

Ein weiterer Grund, weshalb Stuttgart nicht umfahren wird, ist das Fahrgastaufkommen und die wirtschaftliche Bedeutung des mittleren Neckarraums mit etwa 2,5 Mio. Einwohnern. Die DB AG wird wohl kaum an so vielen potenziellen Kunden vorbeifahren und zukünftige Wettbewerber der DB im Fernverkehr werden sich auch ein Stück vom Kuchen abschneiden wollen.

Entgegen den Versprechungen der Stuttgart 21-Werber sorgt gerade die Umwandlung des 16-gleisigen Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Tiefbahnhof mit nur noch 8 Gleisen dafür, dass Stuttgart von wichtigen innerdeutschen Fernverkehrsverbindungen abgeschnitten wird. Das liegt vor allem an der Konzentration aller Investition auf dieses Projekt unter dem dann alle anderen, oft viel effektiveren Ausbauprojekte leiden.

Kürzlich wurde durch eine Studie der Firma sma im Auftrag der NVBW bekannt, dass der IC von Karlsruhe nach Nürnberg nach Fertigstellung von Stuttgart 21 nicht mehr verkehren wird und durch einen Nahverkehrszug ersetzt wird. Außerdem ist keine Rede mehr von einem Ausbau der Murrbahn für den Fernverkehr, für den bereits im Jahr 1995 erste Baumaßnahmen begonnen wurden und mit dem eine Fernverkehrsverbindung nach Dresden hergestellt werden sollte.

Auch andere Fernverbindungen leiden unter dem Bau von Stuttgart 21. Wie aus einer internen Streichliste der DB hervorgeht, reichen die Mittel zum Schienenausbau nicht für alle Vorhaben des Bedarfsplans und sowohl der Teilausbau der Gäubahn auf einen zweigleisigen Betrieb sowie die Elektrifizierung der Südbahn drohen ein Investitionsstopp. Der Fernverkehr auf der Gäubahn nach Zürich, der ohnehin schon seit Jahren unter der notwendigen Wirtschaftlichkeitsschwelle von 200 Reisenden pro Zug betrieben wird, muss damit früher oder später aufgegeben werden, denn ohne die Ausbaumaßnahmen kann ein Fahrplankonzept, das von der Firma sma im Auftrag des Interessenverbands Gäu-Neckarbahn erstellt wurde, nicht umgesetzt werden, mit dem die Anschlüsse an weiterführenden Züge in Stuttgart hergestellt werden können, was heute aufgrund der unzureichenden Infrastruktur nicht möglich ist.

Die Elektrifizierung Südbahn ist laut der Streichliste bei derzeitiger Finanzplanung bis 2025 nicht realisierbar, so dass bei der bevorstehenden Ausschreibung wieder Dieselfahrzeuge beschafft werden müssen, was dann nach Fertigstellung von Stuttgart 21 einen durchgehenden Verkehr bis Stuttgart unmöglich macht.

Auch die frühere Fernverkehrsverbindung von Stuttgart über Heilbronn nach Würzburg wird seit Jahrzehnten stiefmütterlich behandelt und selbst die Behebung einer eingleisigen Engstelle bei Züttlingen, die seit dem Ende des 2. Weltkriegs besteht, kann aufgrund von Geldknappheit nicht angegangen werden. All diese dringend notwendigen Investitionen könnten mit einem Bruchteil der Summe getätigt werden, die für Stuttgart 21 notwendig ist und damit Stuttgart wieder besser in das deutsche Fernverkehrsnetz einbinden.

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[spoiler title=”Ist Stuttgart 21 kundenfreundlich?”]

In den Präsentationen der Werbestrategen erscheint der Tunnelbahnhof wie eine von Licht durchflutete Halle. Durch riesige Bullaugen fällt Licht auf die Bahnsteige, auf dem die Reisenden wie auf ein Boulevard flanieren, während sie auf die glitzernd weißen ICE-Züge warten. Durch die Bullaugen hindurch sieht man das Grün von Bäumen, die auf der Betondecke des Bahnhofs niemals stehen können. Ein perfektes Trugbild der Stuttgart 21-Planer.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Volles Licht erhalten die Bahnsteige nur, wenn die Sonne im Südosten steht und direkt in die Bullaugen scheint. Ansonsten wird es eher düster aussehen. Eine Animation des Fraunhofer Instituts macht dies deutlich. Die niedrige Betondecke lastet drückend auf den Reisenden. Vergleichbar ist dies mit den Lichtverhältnissen im ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe, der teilweise überbaut ist. Ohne permanente Beleuchtung wird auch Stuttgart 21 nicht auskommen.

Aber das ist nicht der einzige Mangel. Laut und stinkig wird es in dem neuen Bahnhof sein. Laut deswegen, weil die niedrige Betondecke den Lärm der Lokomotiven und das Quietschen der Bremsen und der Lärm der Kofferkulis auf dem rauen Betonpflaster mehrfach reflektiert. Stinken wird es nach heißen Bremsbelägen, weil die ICE-Züge am Flughafen mit 250 Stundenkilometer in den Fildertunnel rasen und dann auf der zehn Kilometer langen Talfahrt zum Hauptbahnhof bis zum Stand abgebremst werden müssen.

Auf den nur acht Meter breiten Bahnsteigen wird es ein ziemliches Gedränge geben, insbesondere im Bereich der Treppen. Der Abstand ist so gering, dass Fahrgäste in die Sicherheitszone der Bahnsteigkante ausweichen müssen.

Unangenehm für den Reisenden ist auch die starke Neigung der Bahnsteige. Der Bahnhof hat ein Gefälle von mehr als 15 Promille, was bedeutet, dass das Bahnsteigende am Kurt-Kiesinger-Platz um 6,5 Meter über dem Bahnsteig an der Willy-Brandt Straße liegt. Das ist die Höhe eines zweigeschossigen Hauses. Eigentlich ein K.O.-Kriterium, aber mit einer Ausnahmegenehmigung des Eisenbahnbundesamts konnten die Planer ihre Arbeit fortsetzen. Weil bei dieser Steigung Koffer auf die Gleise rollen könnten, mussten die Planer einen rauen Belag vorsehen und den Bahnsteig nach innen neigen.

Die große Neigung des Bahnsteigs hat auch bahnbetrieblich gravierende Nachteile. Ein Kuppeln und Teilen von Zügen ist in diesem Bahnhof nicht mehr möglich. Stuttgart 21 ist nur noch eine Haltestation.

Bessere Verbindungen, bessere Anschlüsse?

Die Leistungsfähigkeit eines Bahnhofs bemisst sich nicht nach der maximalen Anzahl der Züge, die durchfahren können. Viele Reisende müssen umsteigen und wünschen sich gute Anschlüsse und kurze Übergangszeiten. Wie dies funktioniert, haben die Schweizer Bahnen mit ihrem Integralen Taktfahrplan vorgemacht. Stuttgart 21 hat zu wenige Gleise, um einen Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild fahren zu können.

Gerne wird der Kopfbahnhof als Sackbahnhof und Verkehrshindernis dargestellt. Bei Stuttgart 21 wird die Anzahl der Bahnsteiggleise halbiert. Trotzdem soll dieser Durchgangsbahnhof wesentlich leistungsfähiger sein. Viele bezweifeln das.

Belegt wird dies mit einem Gutachten von Prof. Ullrich Martin aus dem Jahre 2005. Dabei wird Stuttgart 21 eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit attestiert. Das Gutachten hat aber einen erheblichen Mangel: als Haltezeiten wurde mit zwei Minuten im Fernverkehr und einer Minute im Nahverkehr gerechnet, was in der Praxis nie funktioniert. Alle Zweifel sollte ein weiteres Gutachten der unabhängigen Schweizer Firma sma + Partner zum “Angebotskonzept 2020” ausräumen, das seit Anfang 2009 vorliegt. In einer Stellungnahme des Innenministeriums wird eingestanden, dass es “bei der Infrastruktur Abschnitte gibt, die für die Fahrplankonstruktion besonders anspruchsvoll sind.” (Pressemitteilung des Innenministeriums Baden-Württemberg im April 2009)

Das lässt aufhorchen. Trotz vieler Nachfragen verweigert die Landesregierung Einsicht in das Gutachten. Selbst eine Anfrage der Grünen im Landtag wurde abgelehnt. Dass die Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofs geringer sein könnte gestand auch Stuttgart 21-Sprecher Wolfgang Drexler in einem Interview der Stuttgarter Zeitung am 2.2.2010 ein: “Am Projekt gibt es einiges, das auch mich stört, etwa die eingleisige Anbindung des neuen Flughafenbahnhofs oder der Kleinen Wendlinger Kurve. Ich gehe aber davon aus, dass man bei starken Zugzahlen irgendwann einmal ein zweites Gleis bauen wird.” Schon heute ist klar, dass Stuttgart 21 nachgebessert werden muss – und damit noch teurer wird.

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